Ostern 1960 Ich war zu einer Osterfeier, zu einem
Ostererlebnis besonderer Art im Freundeskreis von T. in München eingeladen. Zum
Osterlammessen nach jüdischem Vorbild.
Wir waren etwa 30 Leute. Alle saßen
nebeneinander auf dem Fußboden rings an der Wand. Den ausgezeichneten Platz
hatte Professor N. als „Hausvater". Er sprach die die alttestamentlichen
Segenssprüche und reichte die Speisen herum, den Wein aus einem
silbervergoldeten Becher, die Bitterkräuter, Meerrettich, Sellerie, Feldsalat -
all das zur Erinnerung an die Bitterkeit der Knechtschaft des Volkes Israel in
Ägypten, dazu Fruchtmus, in das Matzen und Selleriestückchen eingetaucht
wurden. Schließlich das am Spieß über Holzkohlenfeuer zubereitete Lamm. Alles
wurde mit der Hand gegessen. Dabei merkt man so richtig, wie dekadent wir sind,
wie sehr uns der Komfort in eine erlebnisfeindliche Zwangsjacke von
Zivilisation und „gutem Benehmen" presst. Es wäre natürlich unrealistisch,
wollte man nun plötzlich wieder anfangen, ohne Messer und Gabel zu essen. Aber
man muss ab und zu an das Zeichenhafte eines solchen Mahles denken, damit man
die eigene Mitte wiederfindet.
Dieses Osterlammessen hatte für mich die
Bedeutung eines Sakramentales. Es war nicht nur eine sinnenfällige Illustration
des patriarchalischen Lebens der Sippe im Alten Testament, sondern eine
erneuerte Darstellung der Auserwählung. Dies ist das kleine Häuflein, das im
gemeinsamen Mahl das stärkste Zusammengehörigkeitsgefühl empfindet. Das das
Wesentliche kennt, das über die Konvention hinausgewachsen ist.
Danach die Osternachtliturgie im
„Venio", dem modernen Benediktinerinnenkonvent. Eine solche Begegnung ist
wohl der letzte erreichbare Urgrund menschlicher Gemeinschaft. Man fühlt sich
ganz lebendig und unmittelbar hineingenommen in die Communio Sanctorum,
vermittelt durch die Liebe der anderen.
Von solchen Erfahrungen kann man auf
Dauer leben. Mir ist vieles klar geworden über das Miteinander von Mensch zu
Mensch. Der Kreis ist aus einer Gruppierung einer lebendigen Pfarrgemeinde
hervorgegangen. Keine besonders intellektuellen Leute, lauter gesundes
Werktagsgewächs, gerade, ehrlich, schlicht.
Ich habe Übersetzungen von Martin Buber
gehört, Psalmen, Patriarchengeschichten. Eine eigenwillige, plastische, sehr
kraftvolle Sprache. Manche Ausdrücke wirken durch ihre Fremdheit ein wenig
störend, ungewohnt. Welch mannigfaltige Möglichkeiten, Welten durch Worte
auszudrücken!
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Aus der Bamberger Apokalypse. Buchmalerei |